Zaunkönig
Ausgewählt: 2004 Der Zaunkönig Vogel des Jahres
Ein ungemütlicher, kalter Wintertag im Dezember. Ein Bekannter ist in seinem Beobach-tungsgebiet am Rande des Nordschwarzwaldes unterwegs. Ein Bergbach schlängelt sich durch ein deckungsreiches Waldgebiet. Bizarre Eisgebilde hängen an Bachkieseln und ins Bachbett ragenden ästen. Es ist mäuschenstill. Nur der Eichelhäher warnt! Plötzlich ertönt wie aus heiterem Himmel eine unvollständig vorgetragene, leicht auszumachende Gesangs-strophe eines Vogels, den man jahraus, jahrein hier antrifft. Es ist der Zaunkönig, der Vogel des Jahres 2004.
Man mag sich wundern, dass nun schon zum dritten Mal nach dem Haussperling 2002 und dem Mauersegler 2003 ein keinesfalls bedrohter Allerweltsvogel vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) zum Vogel des Jahres gekürt wurde. Doch wie viele andere Tiere und Pflanzen ist auch der Zaunkönig auf intakte, natürliche Lebensräume angewiesen, die Tag für Tag bundesweit in einer Größenordnung von 117 Hektar durch Umwandlung in Siedlungs- und Verkehrsfläche schwinden und für immer verloren gehen. Rechtzeitig sollen und müssen die öffentlichkeit und gesellschaftliche und politische Entscheidungsträger auf diese Tatsa-chen aufmerksam gemacht werden, damit Umdenkungsprozesse eingeleitet werden, die der weiteren Zerstörung unserer Umwelt Einhalt gebieten.
Nach dem Sommer- und Wintergoldhähnchen ist der Zaunkönig unser kleinster Singvogel. Er ist neun Gramm schwer und mit zehn Zentimeter nur ein Drittel so groß wie der Haussperling. Der rundliche Vogel ist an den Flügeln, Flanken und am Schwanz dunkelbraun gewellt und gebändert. Auf der Unterseite ist er etwas heller gefärbt. Männchen und Weibchen unter-scheiden sich nur geringfügig. Ein schmaler, weißlicher überaugenstreif ziert die braunen Augen. Die Füße sind rötlich-grau bis braun. Der spitze, bräunliche Schnabel ist leicht nach unten gebogen, ein Merkmal, das ihn als Insektenfresser ausweist. Leicht zu bestimmen ist er durch seinen meist hoch gestellten Schwanz. Ein weiteres signifikantes Bestimmungsmerkmal ist sein in langen Strophen vorgetragener schmetternder Gesang, der mit einem Triller endet und das ganze Jahr über zu hören ist. Der von Experten als „König des Unterholzes“ bezeichnete Vogel des Jahres ist weitaus seltener zu beobachten denn zu hören. Als schlechter Flieger fliegt er nur dann, wenn es wirklich erforderlich ist, huscht er doch meistens von Ge-strüpp zu Gestrüpp, weshalb er regional gelegentlich auch als „Schlupfkönig“ oder „Zaun-schlüpfer“ bezeichnet wird.
Der Zaunkönig kommt in fast allen Ländern Europas vor. Ausnahmen bilden weite Teile Russlands sowie Finnland, Ostkarelien, die Halbinsel Kola und der größte Teil Skandina-viens. Er“ hat viele Teile Asiens, sowie Nordafrika und Nordamerika besiedelt. In Deutsch-land kommt er Flächen deckend von der Meeresküste bis zu den Alpen vor. Im Südwesten sind seine Verbreitungsschwerpunkte bis zu einer Höhe von 1000 Meter NN nachgewiesen. Als Teilzieher überwintert er in allen Teilen Mitteleuropas. Er zieht bis nach Südfrankreich, Norditalien und Nordspanien. Ein geringerer Teil der Population verbleibt als Jahres und Standvogel in seinem Brutrevier, wo sich allerdings im strengen Winter erhebliche Nahrungs-probleme ergeben und gewaltige Ausfälle zu verzeichnen sind. So sind im Jahrhundertwinter 1962/63 80 bis 90 Prozent der Zaunkönigpopulation in Deutschland den niederen Temperatu-ren zum Opfer gefallen. Als Schutz gegen extreme Temperaturen suchen Zaunkönige Schlaf-plätze wie Ställe, Scheunen, ja selbst Nistkästen auf, wo bis zu 20 Individuen zusammengeku-schelt der Kälte zu trotzen versuchen.
Von Anfang März bis Mitte April kehrt der Vogel des Jahres in sein Brutrevier zurück, das er von Mitte September bis Mitte November wieder verlässt. Der Zaunkönig fühlt sich in allen Waldgesellschaften wohl. Optimale Brut- und Nahrungshabitate sind extensiv bewirtschafte-te, mit Unterholz und Feuchtstellen durchsetzte Mischwälder. Windbruchflächen werden rela-tiv schnell besiedelt, wie Beobachtungen nach den Orkanen „Wiebke“ 1990 und „Lothar“ 1999 ergeben haben.
Deckungsreiche Fluss- und Bachböschungen sowie krautumsäumte Stillgewässer werden e-benfalls gerne angenommen. Auch in Parklandschaften, in Friedhöfen, in strukturreichen Gär-ten mit Hecken und Reisighaufen, in aufgelassenen, bewachsenen Steinbrüchen, ja sogar in alten Gemäuern und Ruinen ist er regelmäßiger Brutvogel. Wiesen, äcker, Brachen und Streuobstwiesen kommen dagegen als Zaunkönighabitate nicht in Frage. Im Winter zieht der Zaunkönig auch in Dörfer und in die Außenbereiche von Städten, wo er an geschützten Stel-len übernachtet.
Seine Nahrung besteht im Wesentlichen aus Insekten, Spinnen, Tausendfüßlern und kleinen Schnecken. Vegetabile Kost spielt in Form von Sämereien und Beeren eine eher untergeord-nete Rolle. Im Winter kommt der Zaunkönig nur in den seltensten Fällen an die Futterstellen, wohl ein Beleg dafür, dass er auf lebende animalische Kost angewiesen ist. Eine gewisse Ab-hilfe kann von menschlicher Seite geschaffen werden, in dem geriebener Käse unter Hecken ausgestreut wird, wohl wissend, dass man dadurch nur einem verschwindend kleinen Teil der Zaunkönige helfen kann.
Das Nest wird sowohl auf Baumwipfeln (ehe Ausnahme!) als auch getarnt auf dem Erdboden gebaut. Häufige Neststandorte sind Erd- und Baumhöhlen, Mauerlöcher und Felsspalten Ge-strüpp, Wurzelteller und Holzstöße. Selbst unter Hausdächern sind schon Nester gefunden worden. Kurioserweise haben Zaunkönig schon in Konservendosen und im Jahre 2002 im Garten eines Bekannten in einem unter der Traufe einer Gartenhütte aufgehängten unbenutz-ten Stiefel gebrütet.
Das kugelförmige Außennest mit einem seitlichen Einflugloch besteht aus Moos, Blättern Halmen, ästchen, Wurzeln und Farnen und wird schon im Februar/März nur vom Männchen angelegt. Bis zu 12 Wahl- oder Spielnester bietet das Männchen seinem zukünftigen Weib-chen an. Das Nest, das vom Weibchen schließlich akzeptiert wird, wird vor der Eiablage sorg-fältig mit Moosen und Haaren gepolstert. Es ist s stabil, dass es nachweislich mehrfach ge-nutzt werden kann.
Die sechs bis acht Eier werden im Dürer schnitt 15 Tage lang nur vom Weibchen bebrütet. Die Nestlinge werden von beiden Partner 15-18 Tage lang gefüttert, wobei allerdings das Männchen die Hauptarbeit übernimmt, damit sich das Weibchen auf die Zweitbrut vorberei-ten kann. Nach dem Ausfliegen übernachten die Jungen im geschützten Dickicht oder in de zahlreich vorhandenen Wahlnestern. Die Vielweiberei, die so genannte Polygynie, ist bei den Zaunkönigen keinesfalls unüblich. Einig Männchen haben mehrere Weibchen und helfen nur bei der Fütterung einer Brut mit.
Nasskaltes Wetter im Mai und Juni führt bei jungen Zaunkönigen zu erheblichen Verlusten. Hinzu kommt, dass im Durchschnitt 30 bi 40 Prozent der Brutnester von Wieseln, Mardern, Mäusen, Füchsen, Dachsen und Eichhörnchen geplündert werden. Eichelhäher zerrupfen auf-gefundene Nester und vertilgen Gelege oder Brut. Extreme Winter dezimieren die Bestände in erheblichem Maße. Ferner tragen zur Brutzeit vorgenommene Waldarbeiten und „Säube-rungsaktionen“ zur Dezimierung der Population bei.“
Um dem Zaunkönig und mit ihm vielen anderen Tieren und Pflanzen zu helfen, sollte einfach mehr Wildnis akzeptiert werden. Ausgeräumte Wald sowie Parkanlagen und Gärten mit häu-fig gepflegtem englischen Rasen und stilvoll geschnittenen Hecken bieten Zaunkönigen zu wenig Chancen, um erfolgreich brüten und leben zu können.